Skip Navigagtion

Arnulf Rödler Interview mit Sabine Franzke

XXI Rotationen.
Kryptographien auf Trägermaterial - Text-Bild-Installation

 
Das Gespräch mit Arnulf Rödler fand am 28. Juli 2006 in Wien in Vorbereitung zur Ausstellung XXI Rotationen (Einzelausstellung im Herbst 2006) in der Galerie statt und skizziert die Lebens- und Arbeitsgedanken des Künstlers (ungekürzte Fassung).
 

SABINE FRANZKE: Wie gehst du an deine künstlerische Arbeit heran? Woher hat sich dein momentanes künstlerisches Portfolio entwickelt?

A. RÖDLER: Ursprünglich komme ich aus der Illustration, der Buchillustration und hauptsächlich aus dem Comic.
Das habe ich dann forciert auf Sequenzen. In der künstlerischen, bildlichen Arbeit –also in den Motiven- geht es um Sequenzen, die sich möglicherweise bewegen, explodieren, implodieren. Des Weiteren zählt zu den Motiven alles, was mit Fragmentierung zu tun hat.
Die Themen, die behandelt werden, springen mich meistens an und werden noch bevor die Motive entstehen so lange bearbeitet, bis von einem riesigen Buch nur mehr ganz harte, grundsätzliche, aggressive Sätze übrig bleiben, die die Ignoranz einem Thema gegenüber darstellen. Sie sollen offen legen, warum ein Thema ignoriert wird.

FRANZKE: Ist das auch in deiner derzeitigen Arbeit der Fall?

A. RÖDLER: Ja, das ist zum Beispiel in meiner derzeitigen Arbeit auch so. Es dreht sich vordergründig darum, dass es bestimmte Aussagen gibt, die so nicht stimmen. Zum Beispiel: Wenn du fleißig bist im Leben, wirst du Arbeit und Geld haben. Das sind Kernpunkte, die mir wichtig sind. Sie finden Ausdruck in Zeichnungen, die von Weitem zwar aussehen, als wären sie ansehnlich und nett, je näher man aber hinein zoomt, desto mehr merkt man, wie abgrundtief hässlich eine Grafik eigentlich ist bzw. die Aussage, die sie treffen soll.

FRANZKE: Du strebst also eine bestimmte Art der Reduktion an?

A. RÖDLER: Es ist nicht nur eine Reduktion, viel eher ist es eine Komprimierung. Ein Satz soll sich zum Beispiel in der Grafik auf eine Kernaussage komprimieren.

FRANZKE: Hast du den Wunsch, dass der Betrachter diese Aussage als erkennbar wahrnimmt?

A. RÖDLER: Das schon, ja. Aber: Er muss sich Zeit für die Betrachtung nehmen. Er kann nicht einfach daran vorbei gehen.

FRANZKE: Bekommen deine Arbeiten einen Titel, die Rückschlüsse auf eine gewollte Aussage zulassen?

A. RÖDLER: Nein. Dadurch das alles so fragmentarisch, auseinanderklaffend, explodierend, implodierend ist…
Bei den Ausstellungen sind die Motive Serien. Aber das heißt nicht, dass eine Serie nur für sich alleine stehen kann. Auch jedes Motiv kann für sich alleine stehen. Dadurch hat jede Grafik einen Titel, der fortlaufend ist, der Text, der diese Grafiken miteinander verbindet, ist nicht angeführt.

FRANZKE: … wird der irgendwo mitlaufen?


A. RÖDLER: Der läuft natürlich in der Ausstellung mit.

FRANZKE: Meinst du also: Zeichnung ohne Text ist unverständlich?

A. RÖDLER: Ist nicht unverständlich, bedeutet im Endeffekt aber leicht etwas anderes, weil die Grafik dann eben doch nur für sich steht. Sie trägt zwar noch immer ihre Kernaussage – das Implodierende, Explodierende, Konzentrierte - aber sie steht nicht mehr in dem textuellen Zusammenhang, in dem sie ursprünglich bei der Vernissage oder wo auch immer gestanden hat.

FRANZKE: Logisch weitergedacht würde das bedeuten deine Einzelblätter kann man optisch, emotional, geistig, haptisch begreifen?

A. RÖDLER: Ja. Aber nicht ihren Gesamtzusammenhang. Dieser wäre nur möglich, wenn man sich mit mir in Kontakt setzt, um in meine Dokumentation zu diesem Thema einzusehen, damit man weiß, zu welcher Serie eine bestimmte Grafik einmal gehört hat.

FRANZKE: Das heißt ein Bild ist direkt, unmittelbar und unabdingbar mit dem Künstler verbunden?

A. RÖDLER: Genau.

FRANZKE: Das ist ein neuer Ansatz. Ich kenne nicht sehr viele Künstler, die das so direkt miteinander verquicken.

A. RÖDLER: Dadurch, dass ich vom Comic komme, ist das das für mich etwas Selbstverständliches. Aus Comics werden auch Einzelillustrationen um horrende Preise verkauft. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine Kopie, die in ein anderes Medium transferiert wird.

FRANZKE: Anstelle der Sprechblase könnte man zu jedem deiner Bilder einen Text aufnehmen?

A. RÖDLER: Das wird das nächste Projekt. Dadurch, dass ich mich auch sehr viel mit Ton beschäftige, hat das für mich einen sehr großen Stellenwert. Ich bin ein Mensch, der alles sehr fragmentarisch und in Einzelbildern sieht. Ich möchte aber kein Video oder keinen Film machen, weil ich alles getrennt haben möchte.

FRANZKE: Sowohl in der Musik als auch in der bildenden Kunst komprimierst du: sehr einfache Dinge, sehr einfache Aussagen.

A. RÖDLER: Meine Musik ist in dem Sinne sogar noch primitiver, weil sie einfach aus dem Bauch kommt und am wenigsten Denkarbeit erfordert. Mir ist es wichtig, keine Sachen zu produzieren, die sich wiederholen. Ich kann nicht, wie die Rolling Stones, 50 Jahre lang "Paint it Black" spielen, obwohl es sicher ein schönes Lied ist. Ich strebe immer nach Neuem, deshalb habe ich auch unzählige Aufnahmen. Es wird bei einem Konzert auch niemals dasselbe Lied gespielt werden.
Das Ganze fällt geschichtlich gesehen in die Zeit des Futurismus bzw. Bruitismus. Sprich: Ich benutze Töne, die von der Straße oder vom alltäglichen Leben kommen, von mir aber dann so verfremdet wiedergegeben werden, dass sie eine bestimmte Stimmung erzeugen. Für die meisten Menschen eine eher unangenehme Stimmung.

FRANZKE: Warum für die meisten unangenehm? Hast du diese Erfahrungen gemacht?

A. RÖDLER: Weil die Beschäftigung mit Rückkoppellungen, Verzerregeräuschen oder zum Beispiel einem Motorblock aufnehmen und so lange herunter-switchen, sprich langsamer abspielen, bis nur mehr die einzelnen Explosionen zu hören sind, ist eine etwas gewöhnungsbedürftige Musik für jemanden, der sich damit noch nicht beschäftigt hat.
In der Kunst ist das genauso. Wer sich nicht mit abstrakter Kunst beschäftigt, wird sich lieber einen Waldmüller anschauen.

FRANZKE: Viele, die deine Zeichnungen sehen, sagen, sie erinnern an Salvador Dali. Hast du das schon einmal gehört?

A. RÖDLER: Das kann sein, wobei ich persönlich mehr den Einfluss von Max Ernst sehe, oder von der Technik her von Kupferstechern wie Piranesi, Boulet, Goya usw. Goya impliziert wieder Dali wegen der gemeinsamen Heimat Spanien. Die Spanier haben den Vorteil einer brutaleren Weltsicht, was auch mir aus dem Comic wieder zugute kommt. Ich kann von denen zähren. Dali ist aber nicht wirklich so das Meine. Für mich waren Dadaisten immer viel interessanter und faszinierender.

FRANZKE: Stört es dich wenn Betrachter deine Bilder als aggressiv und bösartig empfinden?


A. RÖDLER: Nein, überhaupt nicht.

FRANZKE: Möchtest du erreichen, dass die Leute unangenehm berührt werden?

A. RÖDLER: Ja, ich strebe eine unangenehme Berührtheit an. Ich denke, das bleibt den Menschen am ehesten in Erinnerung. Natürlich gibt es auch angenehme Berührtheit, das wiegt sich auf. Mir liegt aber mehr das Unangenehme, weil ich den Zustand der permanent zwischen den Menschen herrscht, als unangenehm empfinde. Jeder Mensch ist Zeit seines Lebens bemüht, diesen Zustand zu verbessern oder zu verändern, anstatt ihn zu akzeptieren. Deswegen ist mir das Unangenehme lieber…

FRANZKE:… einfach weil es authentischer ist?

A. RÖDLER: Ich empfinde das Dreckige, Tragische, Aggressive authentischer als das Liebliche, Schöne.

FRANZKE: Die Kuratorin Barbara Baum hat dir einen leicht mittelalterlichen Zug zugesprochen.


A. RÖDLER: Das rührt auch daher, dass ich mich bei meinen letzen Ausstellungen sehr viel mit dem Mittelalter beschäftigt habe. Aus dem Grund, weil es eine historische Epoche ist, die immer sehr einfach gesehen wird. Trotzdem war es aber damals ein genauso komplexes Zeitalter wie heute.
Ich bin ganz der Meinung von Niclolás Gómez Davila Es gibt gar keinen Fortschritt. In Wirklichkeit ist jede Zeitspanne, in der ein Mensch lebt, eine sehr komplexe Zeitspanne. Das gehört verinnerlicht.

FRANZKE: Wie ist dein persönliches Weltbild? Ich kenne dich als einen jungen, fröhlichen Menschen, der fleißig ist. Der sich aber auch die Nächte um die Ohren schlägt. Der oft malt, zu später Stunde noch mit Sonnenbrille aufkreuzt. Du machst auf mich aber keinen mystischen, keinen depressiven Eindruck. Keinen, der die Welt anzweifeln würde als solches.

A. RÖDLER: Das ist schwierig… Ich versuche im Umgang mit Menschen aufgeschlossen und sonnig zu sein. Das ist mein Auftreten nach außen hin. In Wirklichkeit habe ich eine sehr pessimistische Weltsicht und keine besonders hohe Meinung von meiner eigenen Spezies.

FRANZKE: Hast du eine Idee, wie wir miteinander leben sollten?

A. RÖDLER: Nein, das ist mir selbst ein Rätsel. Ich habe sehr viele Bewusstseinszustände und Arten des Zusammenlebens ausprobiert, aber was das Beste ist, kann man wohl sein ganzes Leben lang nicht wirklich sagen.

FRANZKE: Hast du Statements zu den philosophischen Sinn-Fragen des Lebens, nach dem woher und wohin?


A. RÖDLER: Woher und wohin… glaube ich, das gibt es nicht. Was man sagen könnte: Am Ende werden wir doch alle katholisch. Ich glaube nicht, dass es Atheisten gibt, zumindest nicht in der letzen Lebensspanne. Und ich glaube nicht, dass es einen Sinn des Lebens gibt, denn man kurz vor seinem Tod als Belohnung überreicht bekommt. Was nach dem Tod passiert, weiß ich nicht. Ich nehme an nichts.

FRANZKE: Wenn dir einer unterstellen würde, deine Lebenssicht, die sich in deinen Arbeiten spiegelt, will provozieren, ist das dann falsch?

A. RÖDLER: Natürlich könnte ich einen erregierten Phallus irgendwo hinmachen, das wäre aber nicht Sinn und Zweck der Sache. Man erreicht die Menschen erst bzw. kann sie auf etwas hin stoßen, wenn sie ein Geheimnis enträtseln können. Man muss den Betrachter langsam auf etwas hinführen, deshalb habe ich meine Zoom-Technik entwickelt.

FRANZKE: Die Motivation, abstoßende, bedrohliche Dinge zu zeichnen sind Reflexion deiner Weltsicht?

A. RÖDLER: Ja. So gesehen zeichne ich immer mein aktuelles Weltbild. Das ändert sich natürlich. Deswegen komme ich vom Comic, also vom Gegenständlichen, ins Abstrakte. Wer weiß, vielleicht produziere ich in zwei Jahren Kopien von Dali. (allgemeines Gelächter)
Im Moment versuche ich das alles zu verdeutlichen, in dem ich nur Schwarz-Weiß arbeite bzw. gerade anfange mit absoluter Transparenz zu experimentieren, also mit dem Verschwinden.

FRANZKE: Bist du mehr Künstler oder mehr Sozial-Kritiker?

A. RÖDLER: Ich bin sehr gerne Kritiker und allen Dingen gegenüber sehr kritisch, obwohl ich mir immer in die Faust beißen muss um nichts Falsches zu sagen. Ich betrachte mich aber auch nicht als Künstler, sondern als Zeichner, der den Drang verspürt, nichts anderes machen zu wollen als zu zeichnen. Ich muss zeichnen. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht einen Stift in der Hand halte.

FRANZKE: Gibt es Ziele die du als Zeichner hast?

A. RÖDLER: Meine Ziele wären eher gigantomanisch, das hat mit künstlerischen Zielen nichts mehr zu tun. Weltdesign würde mich zum Beispiel liegen.

FRANZKE: Wenn wir fünf Jahre in die Zukunft blicken, könntest du jetzt schon sagen, was du zeichnen wirst?

A. RÖDLER: Nein, das ist so spontan, dass ich nicht einmal sagen kann, ob ich 2011 nicht vielleicht schon alle Stifte weggeschmissen habe.

FRANZKE: Das heißt es kann sein, dass du völlig andere Ausdrucksformen suchen wirst?

A. RÖDLER: Ich wage zu behaupten, dass wenn ich 2011 noch Ausdrucksformen benutze, es bestimmt dieselben sein werden: Ton, Text, Grafik.

FRANZKE: Was sollen Kunden, die in die Galerie kommen, mit deinen Werken – außer kaufen – tun?

A. RÖDLER: Was viel wichtiger ist und ganz außer Frage steht ist, sich hineinfallen zu lassen.
Das ist alles, was ich will.